Spiritualität

Der Hl. Benedikt und seine Regel – Ausgangspunkt zisterziensischer Spiritualität
 
Fragt man nach der spezifischen Spiritualität der Zisterzienser, so kommt man als Angefragter leicht ins Stocken. Was zeichnet das zisterziensische Leben besonders aus? Vergleicht man die Lebensweise der Zisterzienser mit den Benediktinern, so scheinen die Unterschiede marginal. Als Reformorden der Benediktiner haben die Zisterzienser notwendiger Weise denselben Ausgangspunkt, dieselbe Grundlage – nämlich die Regel Benedikts.
Der Hl. Benedikt von Nursia ist wohl eine der wichtigsten Personen für das Abendland. Sein Leben ist uns jedoch weitgehend unbekannt. Eine einzige Quelle, das 2. Buch der Dialoge des hl. Papstes Gregor des Großen (+604), stellt uns Benedikt als einen „vir Dei“, einen Mann Gottes vor. Gregor schrieb jedoch keine historische Biografie, sondern erzählt „zum Lobpreis des Erlösers einige Wunder des ehrwürdigen Mannes Benedikt”.
Geboren wurde Benedikt um das Jahr 480 in Nursia (heute Norcia). Nach einem Aufenthalt in Rom um 500 zog er sich nach Subiaco zurück und lebte dort vorerst als Einsiedler. Später leitete er von hier aus zwölf kleine klösterliche Gemeinschaften. Um 529 gründet er das Kloster auf dem Montecassino. Diese Klosterburg kann als Wiege des benediktinischen Mönchtums bezeichnet werden und prägte das Abendland über Jahrhunderte.
In Montecassino vollendete Benediktdie geistlichen Weisungen für seine Gemeinschaft. Diese wurden später nach ihm benannt: die Regel des Heiligen Benedikt. Um 547 starb der Heilige. Seine Liebe zu Christus, die sich in seinem Leben wie auch in seiner Lebensregel ausdrückt, lassen ihn und seinen Geist bis zum heutigen Tag lebendig sein.
 
Die Regel des Heiligen Benedikt
 
Benedikt spiegelt in seiner Regel die Fülle der monastischen Tradition wider. Die Quellen, aus denen er schöpfte und lebte, sind neben dem Evangelium vor allem die Lebensbeschreibungen (vitae) der Wüstenväter und anderer Mönche sowie die großen Mönchsregeln der damaligen Zeit. Er vermochte es, aus diesen Quellen die Essenz zu ziehen und weise zu ergänzen. So gibt er Bewährtes weiter und lässt Freiräume für nötige Änderungen offen.
Das Leben in klösterlicher Gemeinschaft kann nur gelingen in der Einheit mit Jesus Christus, dem auferstandenen Erlöser. Um diese Gemeinschaft mit Christus zu leben, gibt Benedikt Handreichungen, die den Mönch für die Gegenwart Gottes sensibilisieren sollen. Schon das erste Wort der Regel: Obsculta! – Höre! zeigt eine dieser Hilfen an. Ohne das Hören ist Begegnung, ist Gemeinschaft nicht möglich. Hören heißt, sich dem Redenden zuzuwenden, Hören ist ein Zeichen liebender Verbundenheit, Hören heißt Achtgeben, heißt auch Gehorchen.
Mit dem Hören verbunden ist das Schweigen. Das Kloster als Haus Gottes soll ein Haus sein, in welchem auf Gott gehört wird. So gibt es Zeiten und Räume der Stille, des Schweigens. Hören meint auch, sich selbst zurückzunehmen, demütig zu sein. Dem Anderen, dem Größeren in sich Raum zu geben. Diese Fülle der Gegenwart Gottes führt zur geistlichen Freude und zum inneren Frieden, die trotz manch äußerer Bedrängnis um das Geborgensein in Gott weiß und sich mitteilen will.
Ein für die heutige Zeit sehr wohltuendes Charakteristikum der Regel Benedikts ist seine discretio, seine weise Maßhaltung. Alles Notwendige wird gegeben, auf das Überflüssige soll verzichtet werden. Die Ausgewogenheit zwischen Gebet, Lesung und Arbeit ist schon sprichwörtlich geworden im benediktinschen „ora et labora“ – Bete und Arbeite.
 
Die Regel des Heiligen Benedikt in lateinischer oder deutscher Sprache erhalten Sie hier als PDF:
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Spiritualität – geistliche Lehrer
 
Um das Spezifische der zisterziensischen Spiritualität herauszufinden, lohnt sich der Blick auf die Väter und Mütter des Ordens. In ihren Schriften geht es nicht um die Theorie einer Spiritualität. Ihre Schriften sprühen vor Gottesliebe, sie schreiben was ihr Herz sieht: Gott.
Und tatsächlich, die Liebe ist das Motiv der Zisterzienser. Sie zieht sich gleich einem roten Faden durch die Geschichte. Primär wird dabei die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen betrachtet. Darauf folgt die liebende Antwort des Menschen in seiner Gottesbegegnung wie auch in geschwisterlicher Gemeinschaft. Das Herz wird dabei zum Kristallisationspunkt des Menschen.
Bernhard von Clairvaux, der wohl bekannteste und einflussreichste Zisterzienser fordert auf, in die Wunden Jesu zu schauen und dort seine Liebe zu uns zu entdecken. Analog zu diesem Motiv äußert sich auch die Heilige Gertrud von Helfta, indem sie die Wunden Christi in ihr Herz geschrieben wissen will, um darin Gottes Liebe zu lesen.
Ihnen sei hier ein kleiner Einblick in den Glauben, das Fühlen und Denken verschiedener Zisterzienserinnen und Zisterzienser gewährt. Vielleicht stoßen sie dabei auf die Quelle ihres Lebens. Viel Freude und Segen bei der Minilektüre!
 
Bernhard
Bernhard von Clairvaux
 
Bernhard von Clairvaux wurde um 1090 im Burgund geboren. 1112 trat er in das Reformkloster Cîteaux ein und wurde schon 3 Jahre danach als Abt zur Gründung von Clairvaux ausgesandt. Neben seinen umfangreichen politischen und kirchenpolitischen Aktivitäten, wirkte er vor allem durch Wort und Schrift für die Verbreitung und Vertiefung des Glaubens. Er starb am 20. August 1153 in Clairvaux und wurde zum Kirchenlehrer erhoben. – Fest: 20. August
 
Die Liebe sucht sich selbst, sie gefällt durch sich selbst und um ihrer selbst willen. Sie ist sich selbst Verdienst und Lohn. Außerhalb ihrer selbst sucht sie keinen Grund und keine Frucht; ihre Frucht ist es, dass man sie übt. Ich liebe, weil ich liebe; ich liebe, um zu lieben.
Bernhard von Clairvaux, aus einer Auslegung zum Hohenlied
 
Denn wenn Gott liebt, so will er nichts anderes als geliebt zu werden. Zu keinem anderen Zweck liebt er, als um geliebt zu werden, denn er weiß, dass alle, die ihn geliebt haben, in dieser Liebe selig werden.
Bernhard von Clairvaux, aus einer Auslegung zum Hohenlied
 
Wenn das Geschöpf auch weniger liebt, weil es geringer ist – wenn es mit seinem ganzen Sein liebt, fehlt nichts, weil da das Ganze ist.
Bernhard von Clairvaux, aus einer Auslegung zum Hohenlied
 
Meine Sünden, wenn auch noch so groß,
sind nichts gegen die Liebe Gottes und Seine Barmherzigkeit.
Bernhard von Clairvaux
 
Wie kann ich dem Herrn all das vergelten,
was er mir Gutes getan hat? (Ps 115,12)
Bei seinem ersten Werk gab er mir mich;
bei seinem zweiten gab er mir sich.
Und da er sich gab, gab er mich mir zurück.
Gegeben wurde ich mir also und zurückgegeben –
deshalb schulde ich mich für mich und schulde mich doppelt.
Was aber werde ich Gott vergelten für ihn selbst?
Denn wenn ich mich tausendmal schenken könnte,
was bin ich vor Gott?
Bernhard von Clairvaux
 
O Vater der Barmherzigkeit, o Vater des Erbarmens, warum neigt sich Dein Herz uns zu? Ich weiß, ja ich weiß, „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.” Wie können wir also nichts sein, wenn wir Dein Schatz sind?
Bernhard von Clairvaux, aus einer Predigt zum Kirchweihfest
 
Höre also, was ich rügen und raten möchte: Wenn du dein ganzes Leben und Wissen für die Tätigkeit aufwendest, für die Besinnung aber nichts, soll ich dich da etwa loben? „In diesem Fall kann ich dich nicht loben.” (1Kor 11,22) Ich glaube, auch sonst niemand, der das Wort Salomos gehört hat: „Wer seine Tätigkeit einschränkt, wird zur Weisheit gelangen.” (Sir 38,25) ganz gewiss ist es auch für das Handeln selbst ungünstig, wenn ihm nicht die Besinnung vorangeht. Wenn du vom gleichen Wunsch beseelt bist, für alle dazusein, wie der Apostel, der allen alles geworden ist, so lobe ich deine Menschenliebe, doch nur, wenn sie vollkommen ist. Wie kann sie aber vollkommen sein, wenn du ausgeschlossen bist? Auch du bist ein Mensch.
Die Menschenliebe kann somit nur umfassend und vollständig sein, wenn das Herz, das alle umschließt, auch dich aufnimmt. Denn was nützt es dir sonst, wenn du alle gewinnst, wie der Herr sagt, nur dich selbst aber verlierst? Wenn dich deshalb alle in Beschlag nehmen, so sei auch du selber einer von ihnen. Wieso sollst nur du um das Geschenk deiner selbst betrogen werden? Wie lange noch willst du ein Geist sein, der ausgeht, aber nicht heimkehrt? Wie lange noch willst du dich nicht selbst empfangen, wenn unter den anderen die Reihe an dich kommt? Klugen und weniger Klugen bist du verpflichtet, nur dir allein willst du dich versagen? Törichte und Weise, Sklaven und Freie, Reiche und Arme, Männer und Frauen, Alte und Junge, Kleriker und Laien, Gerechte und Ungerechte, alle haben gleichermaßen Anteil an dir, schöpfen aus deinem Herzen wie aus einer öffentlichen Quelle. Nur du allein willst abseits stehen und dürsten? Wenn der verflucht ist, der sein Erbteil schmälert, was gilt dann von dem, der es gänzlich verliert? Freilich sollen deine Quellen auf den Straßen fließen, Menschen, Großvieh und Kleinvieh sollen daraus trinken, selbst den Kamelen des Knechtes Abrahams sollst du einen Trunk anbieten, doch mit den anderen trinke auch du vom Wasser deines Brunnens! Die Schrift sagt: „Kein Fremder soll daraus trinken!” Bist du etwa ein Fremder? Wem bist du nicht fremd, wenn du es dir selber bist? Schließlich: Wer gegen sich selbst böse ist, gegen wen ist er gut? Achte also darauf, dass du dir – ich will nicht sagen, immer, nicht einmal häufig, doch dann und wann – Zeit für dich selber nimmst! Zieh auch du selbst Nutzen aus dir, zusammen mit den vielen anderen, oder zumindest nach ihnen! Kann ich noch weniger verlangen? Ich sage das doch schon aus Nachsicht, nicht aus Überzeugung. Ich glaube, ich bin in diesem Punkt nachgiebiger als selbst der Apostel Paulus. „Also mehr als nötig”, meinst du. Ich leugne es nicht. Was aber, wenn es gerade so nötig ist? Denn ich vertraue darauf, dass du dich nicht mit meiner vorsichtigen Angabe zufrieden gibst, sondern großmütiger bist.
Bernhard von Clairvaux, Vorsichtige Ermahnung an Papst Eugen
 
Aelred von RievaulxAelred
 
Aelred von Rievaulx wurde 1110 in Hexham, Northumberland, geboren. Nach seinem Dienst am schottischen Hof und einer ausgiebigen Jugend erfuhr er an sich als 24-jähriger eine innere geistliche Wandlung. Diese bewog ihn dazu, in das neu gegründete Zisterzienserkloster in Rievaulx einzutreten. Als Mönch und Abt wirkte er segensreich für seine Gemeinschaft und hinterließ bei seinem Tod 1167 geistliche Schriften, Predigten und historische Werke, die auch dem Menschen heute von der Liebe Gottes künden. – Fest: 12. Januar

Im Innersten des Herzens gibt es einen Raum, 
der erhabener ist als alle übrigen.
Ihn bewohnt der Schöpfer und Erlöser, Jesus, der allein unvergleichlich schön ist.
Er hält alles durch seine Güte zusammen, er allein ist in allem, er allein vor allem,
er facht die Liebe in uns an und fordert Liebe, er beansprucht einen besonderen Platz,
nicht nur einen bevorzugten, sondern den obersten,
und nicht nur den obersten, sondern auch den innersten in der Wohnung unseres Herzens.
Aelred von Rievaulx, aus dem „Spiegel der Liebe”
 
Herr, ich will dich suchen, dich in Liebe suchen, 
denn wer in der Liebe Fortschritte macht, der sucht dich ganz gewiss.
Wer dich aber vollkommen liebt, Herr, der findet dich bereits.
Was liegt näher, als dass dein Geschöpf dich liebt?
Es hat doch sogar die Fähigkeit von dir empfangen, 
dich lieben zu können und in der Liebe zu dir sein Glück zu finden.
Aelred von Rievaulx, aus dem „Spiegel der Liebe”
 
Das Schönste, das Wahrste und Nützlichste, was man über die Freundschaft sagen kann, 
ist meiner Meinung nach dies:
Sie muss in Christus begründet sein, im Geiste Christi gelebt und von Christus selbst vollendet werden.
Aelred von Rievaulx, aus „Die geistliche Freundschaft”
 
Wilhelm von Saint-Thierry
 
WilhelmWilhelm von Saint-Thierry ist um 1080 in Lüttich geboren. Nach theologischen Studien in Lüttich, Lyon und Reims trat er 1113 in die Benediktinerabtei Saint-Niçaise ein und wurde später Abt von Saint-Thierry. Eine geistliche Freundschaft verband ihn mit Bernhard von Clairvaux. Seine Spiritualität mag ihn dazu bewogen haben, 1135 als Novize in die Zisterzienserabtei Signy einzutreten, wo er bis zu seinem Tod 1148 zahlreiche geistliche und theologische Schriften verfasste. Wilhelm von Saint-Thierry gilt als der bedeutendste Theologe des 12. Jahrhunderts. – Fest: 8. September
 
Der Pfad zum Ziel ist steinig. Wenn du die Liebe suchst, hast du die ersten Schritte auf dem Pfad, der zum Leben führt, schon getan. Wenn du diesen Pfad nicht verlässt, wirst du dein Ziel erreichen.
Der Pfad, der zur Liebe führt, heißt Gehorsam. Wenn du ihm folgst, kommst du zum Ziel. Doch sollst du wissen, dass Liebe etwas Großes ist. Etwas so Wichtiges und Kostbares hat seinen Preis! Gott selbst ist die Liebe, wenn du zu ihr gelangst, dann hört alle Mühsal auf.
Wilhelm von Saint-Thierry, aus den Meditationen
 
Ein starker Wille, der sich auf Gott richtet, ist verlangende Liebe (amor). Die selbstlose Liebe (dilectio) ist Anhangen oder Vereinigung, die göttliche Liebe (caritas) ist Genießen.
Wilhelm von Saint-Thierry, aus dem Goldenen Brief
 
Gott zu begreifen, sind wir ganz und gar unfähig. Aber er, den wir lieben, vergibt uns. Und obwohl wir bekennen, dass wir von ihm weder würdig sprechen noch über ihn würdig denken können, werden wir dennoch durch seine Liebe aufgerufen und angetrieben, von ihm zu sprechen und über ihn nachzudenken.
Wilhelm von Saint-Thierry, aus dem Goldenen Brief
 
Guerric von Igny
 
Guerric (Wericho) von Igny wurde um 1070 in Belgien geboren. Nach seiner Tätigkeit als Dozent an der Kathedralschule von Tournai, trat er als Schüler des Hl. Bernhard 1121 in Clairvaux ein. 1138 wurde er Abt von Igny (Diözese Reims). Seine geistliche Lehre ist in 54 Predigten überliefert. Guerric starb 1157. – Fest: 19. August
 
Es genügt mir, wenn Jesus lebt! (vgl. Gen 45,28) Wenn er lebt, lebe auch ich, denn von ihm hängt meine Seele ab. Er ist selbst mein Leben, er ist selbst mein Genügen. Denn was könnte mir fehlen, wenn Jesus lebt? […] Es genügt mir, wenn er nur lebt – mag er auch nur für sich leben.
Guerric von Igny
 
Welcher Trost, derart verlassen zu werden; welche Liebe, so im Stich gelassen zu werden, dass man dem Eingeborenen des Vaters, dem einzigartigen Geliebten, in seinem Leiden ganz nahe sein darf!
Guerric von Igny
 
Der wachsame Glaube, ungeheuchelt und nicht vorgetäuscht, er ist es gerade, wie ich meine, der allein zur Vollkommenheit führt,
und zwar auf dem kürzesten Weg.
Guerric von Igny, aus der 1. Ansprache zum Fest der Apostel Petrus und Paulus
 
Du lass wenigstens den schwachgewordenen Geist nicht im Staub versinken und dulde nicht, dass dein Herz, durch Trägheit niedergedrückt, im Sumpf untergehe! Antworte vielmehr zuversichtlich auf den Ruf „Erhebet die Herzen” unserem Hohenpriester, der heute in das Heiligtum eingetreten ist und eine ewige Erlösung bewirkt hat. Dort tritt er auch jetzt vor Gottes Angesicht für uns ein. Antworte ihm zuversichtlich: „Wir haben sie beim Herrn”.
Guerric von Igny, aus der Ansprache zum Fest Christi Himmelfahrt
 
Isaak von Stella
 
Isaak von Stella, oder französisch Isaac de l’Etoile, wurde um 1110 in England geboren. Er kam zum Studium nach Paris und trat, vermutlich auf eine Predigt Bernhards hin, in Pontigny ein. 1147 wurde er Abt des Klosters Stella. Im Konflikt Thomas Beckets mit dem englischen König Heinrich II. unterstützte er Becket. Um 1167 zog er sich auf die Île de Ré zurück, einer Insel 5km vor dem Hafen von La Rochelle. Dort gründete er das Kloster Les Châteliers, wo er 1174 starb. Er verfasste u.a. 55 erhaltene Predigten. Eine Seligsprechung ist nicht nachweisbar.
 
Gott selbst ist das Erbe. Ihn möchte ich mit einer wohl geordneten Liebe nach Hause tragen, damit sie mit mir Mahl halte und ich mit ihr (vgl. Offb 3,20); das ist Gott selbst. Er ist mein Denken und meine Freude. Ich suche ihn um seinetwillen über mir. An ihm finde ich durch ihn, der in mir ist, Nahrung. Er ist für mich der Acker, auf dem ich arbeite. Er ist für mich die Frucht, für die ich arbeite. Er ist für mich Ursache und Ziel, Ursprung und Ende ohne Ende. Er ist für mich ewig, wie der Psalmist sagt: „Und mein Anteil ist Gott auf ewig” (Vg. Ps 72,26).
Isaak von Stella, aus der 5. Predigt zum Fest Allerheiligen (5.13)
 
Denn es ist unmöglich, Gott zu sehen und ihn nicht zu lieben. Dem Liebenden aber muss er sich zeigen. Er sagt ja: „Ich werde mich ihm offenbaren” (Joh 14,21). Das sind, meine Lieben, jene Flügel der seligen Seraphim, mit denen sie sich vor dem erheben, der auf dem Thron sitzt (vgl. Jes 6,1-2), den alle Engel zu schauen verlangen (vgl. 1Petr 1,12), nach dem sie in Sehnsucht immer ausschauen, den sie immer ersehnen, um ihn zu schauen. Um darum, Brüder, endlich einmal die lange Ansprache zu schließen: Das ist meiner Meinung nach die Summe des religiösen Lebens, das Ziel der geistlichen Übung.
Isaak von Stella, aus der 5. Predigt zum Fest Allerheiligen (5.22)
 
Darin besteht also das alleinige und höchste Gute des geschaffenen vernunftbegabten Geistes, das Ziel seines natürlichen, vernünftigen und moralischen Strebens und Wirkens, das, weswegen er geschaffen ist: die Kontemplation und Freude in Gott. Der Weg aber zu dieser Wohnung ist: suchen und nachahmen, fragen und verlangen, fragend verlangen und verlangend fragen. Seine einzige Sünde und sein einziges Unglück ist es, sich von dieser Hinwendung zu Gott, vom Suchen und von der Sehnsucht abzuwenden, Gott gering zu schätzen, etwas anderes zu suchen und zu lieben.
Isaak von Stella, aus der 25. Predigt, Achte Predigt zum Sonntag Sexagesima (25.6)
 
Balduin von Ford
 
Balduin von Ford wurde in Exeter (Devonshire, England) geboren und war in jungen Jahren Archidiakon seines Bischofs. Um 1169/70 trat er in das Zisterzienserkloster Ford (England) ein, und wird dort schon 1175 als Abt bezeugt. 1180 wurde er Bischof von Worcester und 4 Jahre später Erzbischof von Canterbury. Als solcher hatte er unter dauernden Streitigkeiten mit dem benediktinisch geprägten Kathedralkapitel zu kämpfen. Unter Papst Lucius III wurde er Legat und Kreuzzugsprediger in England. Er nahm auch selbst an den Kreuzzügen teil und starb an einer Seuche im November 1190 vor Akko. In Balduins hauptsächlich aus seiner Klosterzeit stammenden Schriften begegnen sich das monastisch-theologische Erbe der zisterziensischen „Evangelisten” (Bernhard von Clairvaux, Aelred von Rievaulx, Wilhelm von St. Thierry und Guerric von Igny) und die neu aufkommende Scholastik.
 
Liebe auch du den, der an deiner Natur Anteil hat und in Zukunft die Herrlichkeit, die dir verheißen ist, zusammen mit dir erlangen soll. Liebe deine Natur, liebe, was du von Natur her bist. Sonst liebst du dich selber nicht, wenn du im anderen die Natur nicht liebst, die auch in dir ist.
Balduin von Ford, aus Das Leben in Gemeinschaft
 
Aus der Liebe Gottes entspringt die Einheit des Geistes; aus der Gnade unseres Herrn Jesus Christus das Band des Friedens; und aus der Gemeinschaft des Heiligen Geistes jene Gemeinsamkeit, die jene brauchen, die ein Gemeinschaftsleben führen, damit sie es führen können. Die Liebe Gottes wirkt die Einheit des Geistes, denn wer sich an den Herrn bindet, wird zu einem Geist (vgl. 1 Kor 6,17).
Balduin von Ford, aus Das Leben in Gemeinschaft
 
Der selbstlosen Liebe, die in uns ist, sind zwei Dinge zu eigen, eben dadurch, dass sie untrennbar mit der Sehnsucht eben dieser Liebe verbunden sind: Die Liebe zur Gemeinschaft und die Gemeinschaft in der Liebe. Wenn aber eines von beiden fehlt, ist die Liebe noch nicht selig.
Balduin von Ford, aus Das Leben in Gemeinschaft
 
Mechthild von Hackeborn
 
Mechthild von HackebornMechthild von Hackeborn, wohl 1241 geboren, wurde mit ihrer Schwester Gertrud im Kloster Rodersdorf erzogen und wurde später Zisterzienserin in Helfta. Seit 1292 schrieb sie ihre mystischen Erfahrungen im „Liber specialis gratiae” auf und beeinflusste damit sehr stark die Herz-Jesu-Verehrung. Sie starb 1299 in Helfta. – Fest: 20. November
 
Immer wenn ein Mensch irgend etwas hat, was er liebt oder wodurch er erfreut wird, dann soll er in seinem Innern bedenken, dass Gott ihm das gegeben hat, um ihn dadurch zur Liebe Gottes anzuregen.
Mechthild von Hackeborn
 
Wenn also einer wenig Andacht in sich verspürt, wenn er sich kalt in der Liebe und von Gott entfernt fühlt, so rufe er die Liebe an und nehme sie als Gesandtin, sie bittend, sie möge sich würdigen, ihm die Gnade oder eifrige Andacht zu erwirken. Was immer er Gutes tut, befehle er ebenso der Liebe zur Aufbewahrung an, um es später in ein Besseres verwandelt von ihr zurückzubekommen. In aller Bedrängnis und Mühsal lade er die Liebe ein, ihm zu helfen; denn ist sie da, so spürt der Mensch keine Mühe und erliegt nicht im Kampf.
Mechthild von Hackeborn, aus dem Buch vom strömenden Lob
 
Man soll nicht anzweifeln, dass unvernünftige Geschöpfe in der Art von lebendigen Personen vor Gott stehen, da doch dem nichts unmöglich ist, der „das Nichtseiende so ruft, als wäre es seiend” (vgl. 1 Kor 1,18) und dem kein Geschöpf unsichtbar ist. Wundersamer aber ist noch, ja anbetungswürdig, dass der liebe Herr so freundlich den Bitten der ihn liebenden Seelen willfährt und alle ihre Sehnsüchte weit über das Maß ihrer Natur kraft seiner Allmacht zu erfüllen geruht.
Mechthild von Hackeborn, aus dem Buch vom strömenden Lob
 
Mechthild von Magdeburg
Um 1207 wurde Mechthild von Magdeburg geboren. Bemerkenswert ist, dass Mechthild neben einer ausgezeichneten weltlichen Bildung schon sehr früh tiefe innere Gotteserfahrungen erlebte. Mit ca. 23 Jahren begab sie sich nach Magdeburg um als Begine zu leben. Dort blieb sie 40 Jahre. Seit 1250 schrieb sie, dem Rat ihres Beichtvaters folgend, ihre Visionen und mystischen Erlebnisse auf. In ihren Schriften kritisiert sie Welt und Kirche, was unweigerlich zu Spannungen führte. Wohl 1270 zog sie sich in das Zisterzienserinnenkloster Helfta zurück. Dort lebte sie noch 12 Jahre, erblindet diktierte sie ihr letztes Werk. 1282 starb Mechthild in Helfta und hinterließ bei ihren Mitschwestern einen tiefen Eindruck. – Fest: 15. August
 
Gegrüßest seist du, lebendiger Gott!
Du bist mein vor allen Dingen.
Das ist mir Freude ohne Ende,
Dass ich ohne Gefährdung aufrichtig mit dir sprechen kann.
Wenn meine Feinde mich jagen,
Dann fliehe ich in deinen Arm.
Da kann ich mein Leid klagen,
Denn du wirst dich zu mir neigen.
Du weißt wohl, wie du die Saiten meiner Seele anrühren kannst.
Mechthild von Magdeburg
 
Wäre alle Welt mein
Und wäre sie lauter Gold
Und könnte ich hier auf Wunsch ewiglich sein
Die alleredelste, allerschönste
Die allerreichste Kaiserin, –
Das wäre mir alles gleichgültig, zuwider und verhasst,
So sehr viel lieber
Sehe ich Jesum Christum, meinen lieben Herrn
In seiner himmlischen Herrlichkeit.
Er erwägt und erkennt, was die leiden,
die seiner so lange entbehren.
Mechthild von Magdeburg
 
Denn wo zwei Geliebte verborgen sich sehen,
müssen sie oft abschiedslos voneinander gehen.
Mechthild von Magdeburg
 
Gertrud von Helfta
 
Gertrud von HelftaGertrud von Helfta 1256 in Thüringen geboren wurde mit 5 Jahren von ihren Eltern zur Erziehung in das Kloster Helfta gegeben. Nach der sehr guten Ausbildung trat sie in das Kloster ein und erfuhr mit 26 Jahren eine tiefe Bekehrung. Von da an lebte sie in einer starken Christusverbundenheit und begann ihre Offenbarungen, Visionen und Meditationen niederzuschreiben. Gertrud starb 1301 und gilt als eine der größten deutschen Mystikerinnen. – Fest: 17. November
 
Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, gib mir, mit ganzem Herzen, mit aller Sehnsucht und dürstender Liebe nach dir zu streben. Gib mir, in dir, dem Zärtlichsten und Mildesten auszuruhen. Gib mir, mit der ganzen Kraft meines Geistes und meines inneren Wesens nach dir beständig zu verlangen, du wahre Glückseligkeit.
Allerbarmherzigster Herr, schreibe mit deinem kostbaren Blut deine Wunden in mein Herz, dass ich in ihnen lese deinen Schmerz und deine Liebe.
Gertrud von Helfta
 
Wenn wir fliehen, Du folgst uns nach;
kehren wir den Rücken, Du trittst uns vors Angesicht;
Du flehst voller Demut, aber Du wirst verachtet.
Aber weder Beschämung noch Verachtung kann Dich dahin bringen, Dich abzuwenden;
Du bist unermüdlich, uns zu jenen Freuden zu ziehen,
die kein Auge gesehen, die kein Ohr gehört hat
und die noch nie in eines Menschen Herz gekommen sind.
Gertrud von Helfta, aus dem Gesandten der göttlichen Liebe
 
Die Stunde der Heiligen Kommunion nahte... Für die verdammten Seelen wagte sie (Gertrud) ihn nicht zu bitten. Der Herr wies sie wegen ihrer Kleingläubigkeit zurecht und sprach: „Sind Erhabenheit und Würde der Gegenwart meines unbefleckten Leibes und Blutes nicht so heilig und mächtig, dass nicht auch Verdammte in ein besseres Leben zurückgeholt werden können?”
Gertrud von Helfta, aus dem Gesandten der göttlichen Liebe