Predigt am 17. Dezember 2023 – 3. Adventssonntag

Das kennen wir auch. Manchmal begegnen uns ganz faszinierende Menschen, die uns ansprechen und in der Tiefe berühren. Aber vielleicht auch verunsichern.

Im 6. Kapitel des Markusevangeliums hören wir über das Verhältnis des Königs Herodes zu Johannes dem Täufer: „Herodes fürchtete sich vor Johannes, weil er wusste, dass dieser ein gerechter und heiliger Mann war. Darum schützte er ihn. Wenn er ihm zuhörte, geriet er in große Verlegenheit und doch hörte er ihm gern zu.“ Da scheint mir genau dieses Spannungsverhältnis ins Wort gebracht, das ich meine. Solche Menschen wie Johannes der Täufer faszinieren und verunsichern und stoßen ab – alles zugleich. Weil sie so eine ganz besondere Ausstrahlung haben.

Das scheint wohl genau das zu sein, was Propheten von jeher ausmacht. Ausgeflippte Typen, die völlig aus der Art schlagen. Aber vielleicht auch gerade deshalb etwas zu sagen haben und Menschen berühren. Und solche Propheten gibt es immer wieder.

Mir fiel ein Gedicht aus den Aufzeichnungen von Dietrich Bonhoeffer ein, die er im Gefängnis geschrieben hat. Ein evangelischer Theologe, der entschieden und mutig dem Nazionalsozialismus Paroli geboten hat und dafür ins KZ kam und kurz vor Kriegende in Flossenbürg hingerichtet wurde.

Er beschreibt in dem Gedicht, wie er auf andere wirkt – und wie er sich selber erlebt. Und wie er aus dem Glauben heraus damit umgeht:

Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest, wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Wir dürfen lernen von den Propheten, von Johannes dem Täufer, von Dietrich Bonhoeffer, was am Ende zählt. Man muss nicht ankommen. Auch nicht unbedingt verstanden werden mit seiner Botschaft. Aber unbedingt authentisch bleiben, bis in den Tod hinein. Sich nicht brechen lassen und sich selber treu bleiben. Wie es P. Alfred Delp, ebenfalls ein großer Bekenner der Nazi-Zeit und Opfer der Nazi-Schergen, formuliert hat: „Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber die unverratene Treue und Anbetung.“