Ansprache 1.1.23

Da freute sich der Bauer sehr und fing gleich an zu beten: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe…“
„Bekomme ich den Sattel auch oder nur das Pferd?“ fragte er auf einmal dazwischen.
Da musste der Bischof lachen: „Leider, leider“, sagte er, „weder das Pferd noch den Sattel.“
Der Bauer sah, dass er alles verloren hatte. Er konnte nicht einmal dieses ganz kurze Gebet ohne Zerstreuung sprechen.
An diese Geschichte erinnere ich mich oft. Es ist schon Jahre her, da hat sie uns ein Exerzitienmeister erzählt.
An einem einzigen Tag beten wir während des Chor-und Tischgebetes über zehnmal das Vaterunser. Und es ist noch nicht so lange her, da waren es noch weit mehr. Konnte dieses schöne Gebet, was uns Jesus selbst gelehrt hat, da überhaupt andächtig gebetet werden?
Beten wir es aufmerksam und bewusst?
Matthäus (6,5-15) überliefert uns das Herrengebet mit den sieben Bitten, Lukas mit fünf. (11,2-4)
Mit Schriften zum Vaterunser sind ganze Bibliotheken gefüllt worden: Erläuterungen, Auslegungen, Erfahrungen. Und sicher ist es wichtig, sich damit zu befassen und das Hintergrundwissen zu vertiefen!
Aber noch wichtiger ist, es sich auch wirklich zu eigen zu machen, es in das eigene Herz fallen zu lassen.
Ich selbst habe noch eine andere, für mich wichtige Erfahrung mit dem Vaterunser gemacht.
Als junge Schwester sagte eine Tante beim Abschied zu mir, dass sie immer wieder ein Vaterunser für mich betet. Und ich solle das doch bitte auch für sie tun.
Was so selbstverständlich klingt, war für mich ein Aha-Erlebnis. Ich war der Meinung, das Chorgebet ist eine ganze Menge Gebet und reicht sozusagen. Aber in dem Augenblick begriff ich mit dem Herzen, dass ich da ruhig noch etwas drauflegen kann, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf. So ist mir das Vaterunser als persönliches Fürbittgebet sehr wichtig geworden.
Jede von Ihnen wird ihre eigenen Erfahrungen gemacht haben.
Der hl. Benedikt erwähnt das Vaterunser in der Regel nur einmal und zwar im 13. Kapitel, wo er auffordert, dass Laudes und Vesper nie zu Ende gehen sollen, ohne dass das Gebet des Herrn laut vom Oberen zu sprechen sei, so, dass alle es hören können. Denn immer wieder gibt es Ärgernisse, die wie Dornen verletzen.
Wenn die Brüder beten und versprechen: „Vergib uns, wie auch wir vergeben“, sind sie durch dieses Wort gebunden und reinigen sich von solchen Fehlern. (RB 13,12-13)
Stellen wir alle Ärgernisse, Fehler, Versäumnisse und Lieblosigkeiten des vergangenen Jahres in die Barmherzigkeit Gottes!
Meine Anregung und mein Wunsch ist es, das Vaterunser noch aufmerksamer und konzentrierter zu beten.
So kann es für uns ein lebendiger Begleiter sein.
Vielleicht bekommen wir dann vom hl. Franz von Sales sein Pferd und den Sattel geschenkt?
In Dankbarkeit für all Ihre Hingabe, Ihren Einsatz und Ihre Arbeit
seien Sie gesegnet! Und für das neue Kalenderjahr wünsche ich Ihnen Gottes Schutz und Beistand!